Gedanke

11 digitale Wege, die Messen helfen oder sie ruinieren können

Wir sind davon überzeugt, dass eine Messe ihre physische Zukunft über eine entsprechende digitale Präsenz absichern wird müssen. Welche Wege funktionieren können und welche nicht. Ein Überblick.

Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Blog schreibe. Klar könnte ich Eigenwerbung betreiben und eine Steilvorlage für unsere Plattform in die Hand geben, aber ich denke, es ist vielen mehr geholfen, wenn ich ein wenig meine Erfahrungen teile.

Und ich traue mich zu behaupten, dass ich auf ein paar gute Erfahrungen zurückgreifen kann. So habe ich „Digital Value Propositions“ für unterschiedliche Messe-Brands mitentwickelt. War an der Gestaltung, Implementierung digitaler Produkte (inklusive Pricing) beteiligt. In meiner Verantwortung lag die Contentstrategie eines großen Messeveranstalters. Ich musste auch schon digitale Konzernprodukte durchboxen, von denen ich nicht überzeugt war.

Klar, alles persönliche Eindrücke und damit diskutierbar. Aber hier mal ein Überblick über 11 digitale Wege, die derzeit durch die Messewelt geistern.

1. Digitale Messestände

Eine Pandemie-Geburt, von der ich heute dringend abrate. Wer glaubt, dass sich User:innen freiwillig durch virtuelle Hallen, künstliche Pflanzen, Aussteller-Avatare und PDFs zum Download klicken, liegt falsch. Don’t waste your money!

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Bitte nicht: Digitale Messestände waren ein Versuch, der ein Griff ins Klo war.

2. Interaktive Ausstellerverzeichnisse

Die gängigen Kataloganbieter haben nachgerüstet und bieten teilweise richtig tolle digitale Verzeichnisse an. Das Problem: Es sind nach wie vor starre Verzeichnisse mit vielen lustigen Filtern, die sich irgendwo im zweiten Layer einer Webseite verstecken. Wenn ich 3 Klicks brauche, um in ein Ausstellerprofil zu gelangen, ist jeder Klick, ein Klick zu viel. Nur wenn der Traffic sofort beim Aussteller und seinem Content landet, erzeugt dies einen Mehrwert, der ein Geschäftsmodell rechtfertigt. Also macht es viel mehr Sinn diese Elemente einer Webseite voneinander loszulösen. Dahinter einen smarten Algorithmus zu packen, der die Seite anhand der User-Interessen vollautomatisch kuratiert. It’s all about traffic!

3. Durchgängige Content-Strategie

Als ich Content-Plattformen für meinen alten Arbeitgeber entwickelt habe, war mein größter Denkfehler mein redaktioneller Ansatz. Ich habe damals aktiv Fachjournalisten von Verlagen abgeworben und war naiv genug, zu glauben, dass ich mit gutem Content ähnlich wie Verlage Umsatz machen kann. Aber einen rein redaktionellen Ansatz muss sich ein Veranstalter erst einmal leisten können. Ein Content-Manager pro Brand ist zu wenig und wenn der dann auch noch Presse und Social Media machen muss, wird das nicht funktionieren. Außerdem ist das Geschäftsmodell von Verlagen extrem unter Druck und damit ein „Red Ocean“ in den Messeveranstalter nicht stechen sollten. Trust me!

Das Geschäftsmodell von Verlagen ist sehr unter Druck, Messen sind also gut darin beraten, dieses Business nicht zu betreten.

Das Geschäftsmodell von Verlagen ist sehr unter Druck, Messen sind also gut beraten, dieses Business nicht zu betreten. 

4. Starke Social Media Präsenz

Es ist gut eine starke Community auf Social Media zu haben, allerdings spielt das hauptsächlich in die Tasche der Mark Zuckerbergs dieser Erde. Es ist kein richtiges Geschäftsmodell, dem Aussteller Social Media Posts zu verkaufen, egal wie groß die Community ist. Social Media sind die Satelliten, die dafür sorgen, dass der Traffic auf die eigene Plattform kommt. Je größer und stärker diese Satelliten sind, umso besser. Aber sie bleiben Satelliten. Social Media Manager hate me for that!

5. Erhöhung der Medien- bzw Marketingpauschale

Eines haben fast alle Messeveranstalter derzeit gemeinsam: Sie erhöhen ihre Marketing- bzw Medienpauschale und rechtfertigen diese Erhöhung mit irgendwelchen digitalen Tools und Lösungen. Die Aussteller sind meist überfordert oder genervt, weil sie dafür gefühlt nichts bekommen außer zusätzliche Arbeit. Eine Premium-Platzierung mit schöneren Präsentationsmöglichkeiten, die vielleicht 1.000 Impressions mehr bringt, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Not satisfying!

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Benefit vs Feature: Wer seine Marketingpauschale erhöht, muss dem Aussteller dafür auch einen entsprechenden Mehrwert bieten können.

6. Tagesaktuelle Aussteller-Dashboards

Das ist eine Entwicklung, die ich voll und ganz unterstütze. Je transparenter Messen den Mehrwert ihrer digitalen Plattform machen, umso mehr Vertrauen erzeugen sie beim Aussteller. Klar, sollte der Plattform-Ansatz dann auch funktionieren. Be brave!

7. Bezahlte Recommendations

Eine gängige Praxis sind Aussteller-Empfehlungen, egal ob in der Plattform selbst oder im Ticketshop. Ich enttäusche nur ungern, aber das ist nicht State of the Art! Für diese Premium-Platzierung zahlen Aussteller und genau da liegt auch der digitale Hund begraben. Erstens wirkt es werblich und zweitens ist das ein endliches Geschäftsmodell und damit nicht unbedingt nachhaltig. Besser ein intelligenter Algorithmus matcht die Interessen der User mit dem Content der Aussteller. That would be smart!

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Recommendations, die bezahlt sind, sind kontraproduktiv.

8. Exklusive Plattformen

Es gibt einige Veranstalter, die exklusive Plattformen (nur mit Registrierung) anbieten. In meinen Augen ein Fail, weil diese Exklusivität sehr viel Traffic kostet. Wer will, dass sich die Leute registrieren, sollte seine Plattform anhand verschiedener Layer gestalten. Erfolgreiche Lösungen sind offen und sicheren sich zuerst das Engagement ihrer User:innen. Erst im Nachgang holen sie sich entsprechende Registrierungen. Ich empfehle daher eine offene Plattform, die erst in der Tiefe sogenannten „Gated Content“, sprich Content nur gegen Registrierung oder gewisse Benefits gegen Registrierung zur Verfügung stellt. Be open and exklusiv!  

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Wer seine komplette Plattform hinter Registrierschranken packt, verliert User:innen und damit extrem viel Traffic.

9. Messe-Apps

Einige Messeveranstalter schwören auf Apps. Gerade in überfüllten Hallen mit schlechter Netzabdeckung, kann diese Offline-Lösung ein großer Vorteil für den Messebesuch sein. Die Krux: Die Downloadraten und die Content-Konservierung. Klar, es gibt gnadenlose Veranstalter, die das Downloadproblem beheben, indem man Tickets nur über ihre App beziehen kann. Das geht, aber dann muss es ein sehr digital affines Publikum sein. Sehr oft wird die App nach der Messe wieder gelöscht. Die Folge: Der ganze gute Content geht verloren. Better preserve it!

10. Digitales Matchmaking

Viele Veranstalter vermissen den sprichwörtlichen "Zufall" bei digitalen Lösungen. Sprich, die zufällige Inspiration, die ich beim physischen Messebesuch habe. Matchmaking kann hier helfen und den/die Besucher:in Aussteller entdecken lassen, die er/sie so gar nicht am Plan hatte. Der Teufel versteckt sich aber auch hier im Detail. Matchmaking, wo mir sofort ein Videocall oder eine Chat-Möglichkeit vorgeschlagen wird, halte ich für kontraproduktiv. User:innen wollen eine Wahl haben, wollen viele (passende) Vorschläge, wollen sich vorab informieren – aber nicht zwangsläufig sofort vernetzen. Gebt ihnen diese Möglichkeit. Do not force it!

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User:innen haben nicht unbedingt Lust darauf, sich sofort zu vernetzen.

11. Aktive Communities

Eine Messeplattform, die es schafft eine aktive digitale Community zu hosten, hat es geschafft. Also in diese Richtung zu entwickeln ist top, dennoch zweigen viele falsch ab. Entweder weil sie glauben das nächste LinkedIn werden zu müssen oder es komplett alleine schaffen wollen. Was macht eine Messe physisch? Einfach gesagt: Sie bietet einen Raum, wo Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. Und das sollte auch beim Community-Building im Vordergrund stehen. Liebe Veranstalter, gebt euren Ausstellern einen attraktiven digitalen Raum, wo sie sich cool inszenieren können. Vermischt es mit gutem Messecontent, holt Euch das Engagement Eurer User:innen und baut so eure Themenführerschaft aus. Be a teamplayer!

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.Wer physisch eine große Community hat, dem gelingt das nicht automatisch auch digital.

Mein Fazit: Der richtige Weg für eine Messe, die ihre physische Präsenz digital absichern will, geht über Content. Nur so kann ich User:innen anhand ihrer Interessen für eine Messe begeistern. Das schafft wertvolle Profile, die nicht nur Daten für eine bessere Ausstellerakquise liefern, sondern auch die Ausrichtung der physischen Messe bereichern. Stellt aber den Content-Idealismus bitte ausnahmsweise hinten an, denn am Ende des Tages muss sich auch ein Geschäftsmodell damit abbilden lassen. Ein Geschäftsmodell, das einen Mehrwert für den Aussteller und Besucher schafft. Und das geht nur über möglichst viele Interaktionen (Views, Klicks, Anfragen, Follower-Gruppen etc). Steht diese Basis, kann alles andere darauf aufsetzen. Und ein letzter Ratschlag: Überfordert eure Aussteller nicht mit zu vielen digitalen Möglichkeiten. Keep it simple and clean!

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